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Pullman City - Die lebende Westernstand - Eging am See/Passau

Interview mit „Seelchen“ Birgit Thomas ...

In jedem Team, in dem es sich eher nach Familie als nach Arbeit anfühlt, gibt es ihn, diesen besonderen Menschen, der für jeden ein offenes Ohr hat, der tröstet und motiviert und immer dort ist, wo gerade Not am Mann ist. Bei Pullman City's Karl-May-Spielen ist dieser besondere Mensch Birgit Thomas – die gute Seele der Hinterbühne. Und da Regisseur Mike Dietrich um ihre Bedeutung fürs Team weiß, ließ er es sich auch nicht nehmen, sie bei der Applausordnung mit auf die Bühne zu bitten. Dabei war die rüstige Rentnerin, der man ihre 69 Jahre beileibe nicht ansieht, anfangs davon gar nicht so begeistert. "Lass meinen Namen am Ende einfach weg“, bat sie. „Ich brauche das mit der Öffentlichkeit nicht.“ Inzwischen hat sie aber für sich herausgefunden, dass es schon etwas Schönes ist, die begeisterten Zuschauer zu sehen und Applaus zu bekommen für das, was man geleistet hat. "Das gibt wieder einen positiven Schub für die nächsten Tage."
Aber welche Aufgaben verbergen sich eigentlich hinter dem Begriff „Gute Seele der Hinterbühne“? Birgit lacht. „Im Grunde genommen bin ich das Mädchen für Alles. Was nötig ist, wird gemacht, und das können ganz unterschiedliche Dinge sein. Das geht von einer aufmunternden Umarmung bis hin zum Pferdeäpfel auflesen.“ Jetzt muss ich auch lachen. Das muss sie mir genauer erklären. Wie mag ein Karl-May-Tag im Leben der Birgit Thomas wohl aussehen?
„Ich bin eine Stunde vor der Aufführung dort und meistens auch eine Stunde anschließend. Gerade dann muss man ja schauen, dass wieder Ordnung herrscht, auch wenn viele sagen: "Das ist doch eh morgen wieder staubig..." Aber was soll's? An einem schmutzigen Arbeitsplatz zu arbeiten, mag ich nun einmal nicht. Ich wische die Tische ab, hänge liegengebliebene Kleidung auf, damit sie gerade nach einer Regenvorstellung nicht zu stinken anfängt, und sammle leere Flaschen ein. Manch einer braucht vielleicht mal ein offenes Ohr, weil er Privates nicht so schnell abschalten kann, der nächste braucht Hilfe beim Umziehen, der dritte eine Hand, die für einen Moment das Pferd hält. Ich schaue mit darauf, dass das Kostüm richtig sitzt, die Armbanduhr abgelegt und die Perücke durchgebürstet ist... All diese Kleinigkeiten, die dafür sorgen, dass man am nächsten Tag gern wieder zurückkommt. Die Anwesenheitsliste führe ich nämlich auch.“
Wenn man Birgit Thomas erlebt, fällt es schwer sich vorzustellen, dass der „Gute-Seele-Job“ ihr anfangs gar nicht so leicht gefallen ist.
„Immer, wenn während der Aufführung emotionale Musik gespielt wurde, habe ich hinten gesessen und geweint“, gesteht sie. Dabei sollte sie doch eigentlich fröhlich und die Schulter zum Anlehnen sein. „Inzwischen ist es so, dass ich das kann. Jemanden auffangen und Herzlichkeit weitergeben, das ist genau meins.“ 
Und auch das zeichnet eine Birgit Thomas aus, denn eigentlich hätte sie allen Grund, traurig zu sein.
2020 verlor sie nach 45 Ehejahren ihren geliebten Mann, und Pullman City war ein ganz großes gemeinsames Hobby. „Wir lebten damals mit unseren beiden Töchtern Maren und Alexandra zwischen Rosenheim und München. Während der letzten 12 Jahre waren wir sehr oft am Wochenende hier und verbrachten hier auch so manchen Urlaub. Mein Mann war ein großer Western-Fan und besaß auch einen Kutschenschein.“ Die Liebe zu Pferden war etwas, das ihn sehr mit Tochter Alexandra verband, die vor einigen Jahren ihren Postjob kündigte, um ihr Hobby zum Beruf zu machen und in Pullman City mit, auf und bei den Pferden zu arbeiten.
Als ihr Vater starb und klar war, dass ihre Mutter die große Wohnung nicht halten wollte, bat sie sie, zu ihr zu ziehen und Birgit stimmte zu. Im Hause Thomas ist so etwas vollkommen normal. Man hilft einander und steht füreinander ein. Das Zusammenleben war für Mutter und Tochter daher kein Problem, die räumliche Umstellung allerdings schon. „Man lässt ja neben der Wohnung auch Freunde, Bekannte und ein liebgewonnenes Dorfleben zurück“, erinnert sich Birgit an diese Zeit. Inzwischen hat sie sich gut eingelebt, eine eigene Wohnung bezogen und macht sich nützlich. Einmal die Woche bedient sie die Kindereisenbahn in Pullman's „Kleiner Farm“ und führt ansonsten den Klondike-Shop unten bei der Bühne, den sie aber zugunsten von Karl May aufgab. Den Kontakt zur alten Heimat hält sie immernoch. Man besucht sich gegenseitig, telefoniert stundenlang und genießt die Zeit, die man miteinander verbringt, in vollen Zügen. „Als ich fortzog, sind alle in meinem Herzen mitgegangen. Man darf die anderen nie vergessen, auch wenn ich jetzt ein vollkommen anderes Leben lebe. Da bin ich auch nicht der Typ zu. Im Gegenteil. Ich halte den Kontakt aufrecht, weil ich so dankbar bin, dass es sie noch gibt.“
Aber auch, wenn man das nach allem jetzt denken könnte, einfach ergeben hat sich der Hinterbühnen-Job für sie nicht. Marianne Six, Leiterin der Schneiderei, hatte die vielen kleinen Baustellen in dem Bereich bemerkt und war, da man sich aus der Vergangenheit kannte, während der Saison 2020 auf Birgit zugekommen. „In dem Jahr rutschte ich dann quasi so mit hinein und bin seit 2021 fest dabei“, sagt sie und ist stolz darauf, seitdem keinen einzigen Tag gefehlt zu haben. Doch auch, wenn das Ensemble wie eine große Familie ist, wäre sie nicht mehr dabei, wenn Regisseur Mike Dietrich nicht wäre. „Einen herzlicheren und menschlicheren Regisseur kann man ja fast nicht erwischen“, gesteht sie dankbar, weil ihr so etwas persönlich gut tut. Aber auch dafür, dass der Gelobte hin und wieder nicht so nett sein kann, zeigt Birgit Verständnis. „Für keinen von uns ist es immer leicht, und auf seinen Schultern ruht schließlich die gesamte Verantwortung. Auch bei mir gibt es manchmal Situationen, in denen ich mich frage, warum ich mir das noch antue. Aber dann wird miteinander gesprochen, wird wieder zusammengehalten und es mach gleich wieder Spaß.“ Wenn es etwas gibt, das sie vielleicht nicht so mag, dann sind es die Abendvorstellungen, obwohl die für den Zuschauer natürlich besonders beeindruckend sind. Aber Birgit ist nun einmal kein Abend-Mensch. „Vielleicht liegt das am Alter“, räumt sie ein. „Da kann niemand etwas dafür und es gehört nun einmal dazu. In jedem Bereich gibt es Schönes und nicht so Schönes und in meiner Generation wird so etwas eh nicht besonders gewertet.
Apropos Alter... Birgit war in ihrem Berufsleben Bäckereifachverkäuferin und hat lange in einer Druckerei für Kinder- und Schulfotografie gearbeitet. Eigentlich könnte sie jetzt ihren wohlverdienten Ruhestand genießen. Was war also der Anreiz, als Marianne Six sie auf die Karl-May-Spiele ansprach?
„Mir wird nachgesagt, dass ich schlecht Nein sagen kann“, lacht sie, empfindet das aber keineswegs als negativ. „Mir tut es einfach gut, anderen etwas Gutes zu tun. Das ist meine Art zu leben. Gereizt hat mich eigentlich, eine große Familie um mich zu haben und miteinander etwas zu schaffen, verschiedene Menschen, verschiedene Charaktere kennenzulernen und gute Laune zu verbreiten.“
Dass Familie und das Für- und Miteinander für Birgit außerordentlich wichtig sind, schwingt in ihrem ganzen Wesen mit. Wenn sie an ihren Geburtstag im Sommer zurückdenkt, schimmern daher noch immer Tränen in ihren Augen.
Im Anschluss an die Applausordnung gratulierte Mike Dietrich herzlich und stimmte mit dem gesamten Team samt Zuschauern „Happy Birthday“ für die an. Ihre Töchter kamen dazu mit Geschenken, Blumen und Luftballons. Eine große Party, mitten auf der Bühne. „Meine Kinder haben das organisiert. Diese natürliche Herzlichkeit macht unsere Familie aus. Sie versuchen einfach die Lücke aufzufüllen, die mein Mann hinterlassen hat und das ist so wichtig und gibt einem auch Kraft. Vielleicht hilft es auch, dass man schneller über so etwas hinweg kommt." Aber auch die folgenden Reaktionen der Zuschauer haben sie tief berührt. „Wildfremde Menschen haben mir auf dem Weg zum Town Office, wohin ich die Anwesenheitsliste bringe, gratuliert. Im Scarlett´s, dem Restaurant auf der Mainstreet, sind zwei Tische spontan aufgesprungen und haben nochmals `Happy Birthday´ gesungen... Dass die Menschen nach einer solch tollen, emotionalen Show noch Platz in ihrem Herzen für ein weiteres, eher privates emotionales Ereignis hatten, ist etwas, wofür ich noch immer kaum Worte finde. In so etwas Großes eingebunden zu sein und seinen Platz gefunden zu haben, ist einfach nur toll!“
Übrigens: Obwohl ihr Mann ein solch großer Western-Fan war, hatte Birgit selbst merkwürdigerweise gar keinen Bezug zu Karl May. Jetzt aber, ist sie fasziniert davon.
Sie ist ein Mensch, der Herzlichkeit, Ehrlichkeit und Gemeinsamkeit mag und dem es wichtig ist, dass jemand einspringt, wenn ein anderer nicht kann. Ein Mensch, der Lügen und Falschheit verabscheut und der daran glaubt, dass das, was man gibt, zu einem zurückkommt. Wer sie kennenlernen darf, weiß, dass sie Recht hat.