Konrad Hofer & Anna Krüger als Mr. & Mrs. Bouda, genannt "McKenzie"
Wie ein Vulkan in Südostasien in Mitteleuropa eine Auswanderungswelle nach Amerika auslöste …
Im Jahre des Herrn 1815 bricht am anderen Ende der Welt in Südostasien ein Vulkan aus, der trotz der für Zeitgenossen nahezu unvorstellbar weiten Entfernung die westliche Hemisphäre gravierend beeinflussen sollte. Im Folgejahr beherrscht in Mitteleuropa wie in Teilen Nordamerikas eine ungewöhnlich große Kälte das Klima – bis hinein in den Sommer! Es schneit sogar im Monat Juli immer wieder erheblich, selbst in den tiefer liegenden Gebieten. Neben dem Auftreten von Nachtfrostperioden machen immer wieder starke und lang anhaltende Regenfälle Mensch und Tier zu schaffen. Während etwa Quebec unter 30 Zentimetern Neuschnee versinkt, treten in der Alten Welt insbesondere im Alpenraum zahlreiche Flüsse über ihre Ufer, überquellend von zu hohen Niederschlagsmengen und enormen Schmelzwassermassen.
Die Folgen sind hier wie dort verheerend: Die Bauern fahren aus Angst vor den Wetterkapriolen ihre Erträge zu früh ein oder versäumen dies, sodass die mehr oder weniger erntereifen Felder und Plantagen allzu lange der viel zu großen Feuchtigkeit sowie den zu niedrige Temperaturen ausgesetzt sind. Missernten sind diesseits und jenseits des lapidar so genannten „Großen Teichs“ das Ergebnis. Das tatsächliche Ausmaß dieses „Jahrs ohne Sommer“, wie es rückblickend im Volksmund genannt werden sollte, zeigt sich allerdings erst im zweiten Jahr nach der Eruption des Tambora-Vulkans und des daraus resultierenden Ausstoßes einer gewaltigen Aschewolke. Die Getreidepreise steigen rasant und zunächst unaufhaltsam an, der Mangel bestimmt die Nachfrage und wer über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, rafft in Hamsterkäufen alles zusammen, was für Geld verfügbar ist. Die weniger gut Betuchten dagegen leiden bald Not, denn die horrenden Summen für kleinste Mengen an Grundnahrungsmitteln sind kaum mehr aufzubringen. Man tauscht alles Mögliche wie Unmögliche gegen absurd wenig zu Essen ein – in den Speisekammern der Wohlhabenden dagegen verderben die allzu mächtigen Vorräte. Zudem grassiert, neben den menschlichen Krankheiten, die sich zunehmend unter der geschwächten Bevölkerung verbreiten, ein Viehsterben, welches einerseits auf den Klimawandel und die damit einher gehenden veränderten Umweltbedingungen zurück zu führen, andererseits das Resultat von zu hohen Futtermittelkosten ist. Das ohnehin noch von den Napoleonischen Kriegen geschwächte und zerrüttete Kontinentaleuropa gerät erneut in eine Krise.
„Achtzehnhundertunderfroren“
Die wohl bezüglich der Anzahl direkter wie indirekter Opfer schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts führt zunächst zu einer Binnenwanderung, denn die Notleidenden und Armen hält nichts mehr an ihrem Heimatort. Die Siedler an der Ostküste Nordamerikas weichen auf das Landesinnere aus und leisten ihren Anteil an der westwärts gerichteten Verschiebung der „Frontier“.
In der Schweiz etwa werden in großem Umfang Hilfsmaßnahmen von denjenigen Städten und Gemeinden angestrengt, die eine Vielzahl von vagabundierenden und bettelnden Familien aufgenommen hatten. Es werden Empfehlungen für die komplizierte Zubereitung von Ersatzmehl aus Baumrinde veröffentlicht oder angeblich schmackhafte Rezepte zur Verarbeitung von Katzenfleisch, sowie eine nahezu ungenießbare, aber überlebenssichernde Stärke-Suppe vorgestellt. Letztere fand offenbar in der Mehrheit der Armenspeisungen erfolgreich Verwendung. Dennoch war das Elend so groß, dass etwa der Russische Zar schließlich neben Weizenlieferungen auch eine mildtätige Geldspende von beachtenswertem Umfang entsendet.
Trotz all dieser Bemühungen sehen viele Menschen im Alpenraum keinen anderen Ausweg, als der Alte Welt den Rücken zuzukehren und einen Neuanfang im vermeintlichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu wagen; Auswanderungsagenten sind ihnen hierbei gleichfalls behilflich wie schädlich.
Odyssee eines Innviertlers
So auch Konrad Alexander Bouda, von tschechischer Abstammung und aufgewachsen im österreichischen Innviertel: Nahezu mittellos aber tüchtig, (noch) bei guter Gesundheit, ohne Frau und folglich ungebunden entschließt er sich, seine wenige Habe zu schultern und die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ohne sich auf die Versprechungen eines zwielichtigen Anwerbers zu verlassen, macht er sich auf eigene Faust auf den Weg – noch ohne sich klar zu sein über das Ziel am Ende seiner Reise. Zunächst wendet er sich nach Norden, um dort eine Schiffspassage über den Atlantik zu nehmen.
Nach einer regelrechten Odyssee zu Fuß und zeitweilig auch bequemer per Wagen, gelangt er schließlich nach Hamburg. Um, endlich dort angekommen, überhaupt die Kosten für eine Überfahrt aufbringen zu können, verdingt sich der gelernte Wagenmacher in den verschiedensten Tätigkeitsfeldern. Um das wenige Verdiente ansparen zu können, lebt er bei seinen wechselnden Dienstherren, die er meist südlich der Elbe findet, im Umland der Hansestadt. Er arbeitet dort im Alten Land als Erntehelfer im Obstbau oder verdingt sich als Kahnführer, verrichtet Hilfsarbeiten beim Decken der Reetdächer oder Mauern der Fachwerkhäuser.
Einschiffung in die Neue Welt
Als er geraume Zeit später endlich die Planken des Seglers betritt, welcher ihn in die Neue Welt bringen soll, tut er dies nicht mehr allein: Wie so häufig geschehen, haben sich weitere Auswanderungswillige zusammen gefunden und beschlossen, gemeinsam in einer vertrauten Gemeinschaft den Schritt in eine noch ungewisse Zukunft zu unternehmen. Die Epoche der Amerika-Linien, in der immer mehr anschwellenden, kaum enden wollenden Strom von Emigranten zum boomenden Wirtschaftsfaktor wird, in der ganze Schiffsflotten nahezu ununterbrochen zwischen den Kontinenten pendeln, wird erst einige Jahrzehnte später anbrechen. Vor der Mitte des Jahrhunderts bleibt den Entschlossenen nur, sich selbst zu behelfen und mit Handelskapitänen über die Bedingungen der Mitnahme zu verhandeln. An Bord müssen die Passagiere ganz selbstverständlich (ungeachtet des nicht gering zu beziffernden Preises, der vorab zu begleichen war) mit anpacken. Trotz der schweren Arbeit eine willkommene Alternative zum dauerhaften Aufenthalt unter Deck, wo zu viele Menschen unter denkbar schlechten hygienischen Verhältnissen in Dunkelheit und Feuchte etwa ein halbes Dutzend Wochen lang ausharren müssen und während dieser quälend langen Überfahrt bloß untätig auf ein rasches Vorrankommen ohne Flaute und Bedrohungen wie Eisberge oder Stürme hoffen können. Nicht jeder verkraftet die Strapazen, doch in dieser Zeit werden auch Kinder geboren und Ehen geschlossen. Wer diese Tortur überstanden hat und mehr oder weniger lebend Nordamerika erreicht, macht mehrheitlich an der Ostküste des Kontinents nur Station, denn in den seit 1776 unabhängigen Kolonialstaaten erscheinen die Aussichten weit weniger viel versprechend für die Neuankömmlinge als im Landesinneren.
Mr. & Mrs. Bouda, genannt „McKenzie“
Konrad Bouda zieht es jedoch nicht wie so viele andere von ihnen gen Westen, denn statt sich einem der Wagentrecks dorthin anzuschließen, macht er sich Richtung Kanada auf : Während der langen Überfahrt hatten Kapitän und Besatzung auch vom Ruhm des Forschungsreisenden und Entdeckers Sir Alexander McKenzie berichtet, der wenige Jahre zuvor auf demselben Segler wieder in seine Heimat Schottland zurück gekehrt war. Fasziniert von dessen Schriften beschließt der Österreicher, mittlerweile mit einer der Reisegefährtinnen aus der Altländer Gruppe vermählt, die beschriebene Wildnis zu erkunden - mit dem Ziel, sich an geeigneter Stelle dauerhaft nieder zu lassen. An den großen Seen im damaligen Michigan-Territorium findet das Paar diesen Ort. Durch Vermittlung über zahllose Kontaktleute übernimmt es schließlich „McKenzie´s Haberdashery“, einen zuvor verlassenen kleinen Außenposten am Rande einer erst allmählich wachsenden Siedlung. Es lebt fortan vom Handel und Verkauf von Kurzwaren, die größtenteils aus Europa bezogen werden. Das Häuschen, unter dessen Dach Wohnen und Geschäft vereint sind, verwandelt sich innerlich wie äußerlich nach und nach in ein kleines Stück alte Heimat …